Anpassungen einheimischer Mäuse an den Winter


Wenn die Tage kürzer werden und die Temperaturen fallen, reagieren Tiere auf ganz unterschiedliche Weise auf die veränderten Umweltbedingungen. Echsen fallen in Kältestarre, Warmblüter wie der Bär halten Winterruhe, oder, wie der Feldhamster, Winterschlaf. Aber wie überstehen eigentlich unsere einheimischen Mäuse den Winter?
Zuerst muß man darauf hinweisen, daß die Familie der Mäuse (Muridae) sehr viele Mitglieder hat, darunter auch etwa 15 bei uns heimische Arten, denen dieser Artikel gelten soll. Von Art zu Art sind auch die Überlebensstrategien verschieden, die im Laufe der Evolution entstanden sind, um ein Überleben der Tiere zu sichern. 
Sehr weit verbreitet ist die Ausbildung eines Winterfelles, das dichter ist als das Sommerfell und dessen Haare im allgemeinen auch länger sind. Beobachtet wurde die Ausprägung eines Winterfelles bei der Rötelmaus (Clethrionomys glareolus), der Sumpfmaus (Microtus oeconomus) und der Kurzohrmaus (Microtus subterraneus). Bei der Rötelmaus ist das Fell zusätzlich röter als im Sommer und auch bei der Kurzohrmaus soll im Rheinland das Winterfell normalerweise dunkler sein als das Sommerfell.
Auch die Nester der Tiere sind im Winter umfangreicher und besser isoliert als im Sommer. 
Aber das ist erst der Anfang. Um die Körpertemperatur im Winter konstant zu halten und nicht zu erfrieren, ist es nötig die Leistung der Wärmeproduktion zu erhöhen. Bei der Rötelmaus steigt die zitterfreie Wärmeproduktion (nonshivering thermogenesis = NST) um 50%, bei der Gelbhalsmaus (Apodemus flavicollis) um 80%. Ausschlaggebend für diese Anpassung sind bei beiden Arten die Photoperiode und die Umgebungstemperatur. Die Veränderungen werden durch den Einfluß von Kälte ausgelöst, allerdings nur bei kurzer Photoperiode im Winter. Die Steigerung der NST, welche auch bereits bei anderen Kleinsäugern beobachtet wurde, setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen. Zum Einen kann durch Reduzierung des Körpergewichtes die Leistung der NST pro g Körpergewicht erhöht werden. Gewichtsreduktionen wurden bei Microtus oeconomus (Tast, 1972; nach Klaus, 1988) und Clethrionomys glareolus (Klaus, 1988) beobachtet. Bei der Waldmaus konnte KLAUS keine signifikanten Gewichtsunterschiede feststellen, allerdings konnten für eine eindeutige Aussage auch zu wenig Daten ermittelt werden. Nach GRODZINSKI (nach Klaus, 1988) reduziert aber auch die Waldmaus im Winter ihr Körpergewicht, wenn auch nicht so stark wie die Rötelmaus. Bei der Gelbhalsmaus konnte KLAUS im Winter keine individuelle Gewichtsreduzierung feststellen. 
Durch den Gewichtverlust verschlechtert sich das Verhältnis von Volumen und Oberfläche, so daß das Tier schneller auskühlen würde. Dem kann eine verbesserte Isolation durch ein Winterfell entgegenwirken. 
Zur weiteren Steigerung der NST tragen metabolische Veränderungen im Braunen Fettgewebe (brown adipose tissue = BAT) bei. Im BAT, welches im Gegensatz zum Weißen Fettgewebe stoffwechselaktiv ist und viele Mitochondrien enthält, findet ein Großteil der NST statt. Eine wichtige Veränderung ist die Zunahme des Mitochondriengehaltes im Braunen Fettgewebe. Bei der Gelbhalsmaus z.B. verdoppelt sich die Menge des Mitochondrienproteins (Klaus, 1988). Hierfür ist die Umgebungstemperatur maßgeblich. Auf der inneren Mitochondrienmembran findet die Atmungskette statt. Dabei wird der größte Teil der Energie eines Organismus freigesetzt. In Form von Wärme kann diese Energie zur NST genutzt werden. Mit einer Zunahme der Mitochondrien steigt daher auch die Kapazität der NST eines Organismus. Eine kälteinduzierte Zunahme des Mitochondriengehaltes kommt bei allen Nagern vor.
Wie eben beschrieben, ist die Wärmeproduktion im Normalfall an die Atmungskette gebunden und dadurch begrenzt. Allerdings kann die Atmungskette von der ATP-Synthese entkoppelt werden. Dies geschieht durch ein Protein der inneren Mitochondrienmembran, das "uncoupling protein" (UCP) genannt wird. Die Menge des UCP schwankt mit der Umgebungstemperatur, bei niedrigen Temperaturen ist es verstärkt vorhanden. Da sie durch das Vorhandensein des UCP nicht mehr an die Atmungskette gekoppelt ist, erhöht sich die GDP-Bindung des Braunen Fettgewebes. Die Energie wird dabei nicht chemisch gebunden, sondern sofort als Wärme freigesetzt. Dadurch erhöht sich die Wärmeproduktion und insgesamt steigt die NST-Kapazität enorm an. Diese extremen Leistungen der Wärmeproduktion ermöglichen es den Tieren noch bei Temperaturen von -40°C aktiv zu sein.
Weiterhin wird im allgemeinen im Winter die gesamte energieaufwendige Fortpflanzungsaktivität eingestellt. Besonders auffällig ist hier, daß im Winter die Hoden meist zurückgebildet sind. Bei der Rötelmaus wird das Gonadengewicht durch die Photoperiode gesteuert, wodurch es bei Kurztag im Winter ein Minimum zeigt. Bei der Gelbhalsmaus spielt die Photoperiode keine so große Rolle, so fand KLAUS auch bei Kurztag hohe Gonadengewichte. Bei der Feldmaus (Microtus arvalis) fand NUBBEMEYER (1994), daß die Freisetzung der Sexualhormone Testosteron und Progesteron einem circannualen Rhythmus durch die Photoperiode unterliegt. Gegen Ende der Reproduktionsperiode steigt bei allen Weibchen der Testosteronspiegel, während der Progesterongehalt fällt. Auch bei den Männchen war der Testosterongehalt im Winter niedriger als im Sommer. 
Allerdings wurden bei verschiedenen Arten auch schon Wintervermehrungen beobachtet, so z.B. bei der Feldmaus (Nubbemeyer, 1994). Auch bei der Kurzohrmaus (Microtus subterraneus) kann die Vermehrung im Winter andauern. 
Auch die Glucosekonzentration im Blut wies bei NUBBEMEYER mit 5-6 mmol/l im Winter und 3-4 mmol/l im Sommer einen Jahreszyklus auf, der unabhängig von Nahrung, Klima, Populationsdichte, Geschlecht oder sozialer Struktur war. Dies könnte auf einen erhöhten Energiebedarf im Winter hinweisen. 
Die erhöhten Ansprüche die der Winter an die Tiere stellt führen auch zu einer Zunahme der relativen Herzmasse bei der Rötelmaus und zu einem Anstieg der tatsächlichen Herzmasse bei der Gelbhalsmaus (Klaus, 1988). Dies stellt eine Reaktion auf die höheren energetischen Belastungen im Winter dar. 
Bei der Gelbhalsmaus erhöht sich auch die Darmmasse, wodurch sich auch die resorptive Oberfläche vergrößert. Dadurch kann die Nahrung effektiver verwertet werden und die Maus kann ihren Energiehaushalt aufrecht erhalten (Klaus, 1988). Vorräte legen Mäuse nur in geringem Maße an. Damit können Tage mit ungünstiger Witterung überdauert werden, wenn die Tier kaum aktiv sind. Bei Beobachtungen an der Feldmaus fanden Lehmann und Sommersberg (1980) das die Tiere an naßkalten Tagen, wie bei Schneefall, kaum oder gar nicht oberflächenaktiv waren. Ansonsten änderten sie ihr Aktivitätsmuster nicht. Die Rötelmaus soll im Winter etwa gleichmäßig über Tag und Nacht verteilt aktiv sein, während sie im Sommer hauptsächlich nachtaktiv ist.
Wühlmäuse, wie die Feldmaus finden ihre Nahrung im Winter meist unter der Schneedecke, wo sie auf der Pflanzendecke weitläufige Gangsysteme anlegen, die nach der Schneeschmelze sehr gut zu sehen sind.
Im Winter fressen viele Mäuse verstärkt unterirdische Pflanzenteile, dies trifft z.B. auf die Feldmaus und die Sumpfmaus zu. Erdmäuse, Rötelmäuse und Feldmäuse fressen bei Nahrungsmangel oft auch verstärkt Rinde. 
Von der Sumpfmaus ist bekannt, daß sie im Laufe der Jahreszeiten ihr Biotop wechselt und im Winter in trockenere Biotopeumsiedelt. 


Literatur:

Klaus, Susanne; "Die jahreszeitliche Akklimatisation der Wärmebildung freilebender Apodemus flavicollis, Apodemus sylvaticus und Clethrionomys glareolus"; Marburg, Univ., Diss.; 1988

Lehmann, Ulrich und Sommersberg, Christian W.; "Activity Patterns of the Common Vole, Microtus arvalis - Automatic Recording of Behaviour in an Enclosure"; Univ. Köln; in: Oecologia 47; 1980; Springer - Verlag

Niethammer, Jochen und Krapp, Franz; Handbuch der Säugetiere Europas; Akademische Verlagsgesellschaft Wiesbaden; 1978

Nubbemeyer, Reinhard; "Physiologie und Reproduktion der Feldmaus (Microtus arvalis, Pallas 1779)"; Münster (Westfalen), Univ., Diss.; 1994
 


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