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Mitteilungsheft 1/98

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BETRACHTUNGEN ZUR SYSTEMATIK UND HALTUNG VON INSEKTENFRESSERN UND RÜSSELSPRINGERN

Von Klaus Rudloff, Berlin

Streifentanrek, Streaked Tenrec (Hemicentetes semisposus)
Foto: Klaus Rudloff, 20.1.1996, Haltung: Zoo Berlin
Kapigel, South African Hedgehog (Atelerix frontalis)
Foto: Klaus Rudloff, 25.7.1990, Haltung: Zoo Berlin
Moschusspitzmaus, Musk or House shrew (Suncus murinus)
Foto: Klaus Rudloff, 20.3.1997, Haltung: Tierpark Berlin
Maulwurf, European Mole (Talpa europaea)
Foto: Klaus Rudloff, 5.7.1979, Freiland: Tierpark Berlin
Nördliche Elefantensptzmaus, Morth African Elephant-shrew (Elephantulus rozeti)
Foto: Klaus Rudloff, 1968, Haltun: Tierpark Berlin


Neben den Nagetieren ist für den "wirklichen" Kleinsäuger-Liebhaber die Ordnung Insektenfressen von Interesse. Mit 365 Arten (CORBET & HILL 1991) belegen sie nach den Nagern (1793 Arten) und Fledertieren (977 Arten) Platz 3. Früher wurde die 15 Arten umfassende Gruppe der Rüsselspninger ebenfalls zur Ordnung Insektenfresser gestellt.

Die Insektenfresser lassen sich recht gut nach ihrer Gestalt einteilen und vergleichen. Neben den in unserer Heimat lebenden Spitzmäusen, Maulwürfen und lgeln und deren außereuropäischen Typen gibt es noch rattenartige und otterähnliche Insektenfresser. Mit einer KRL von 3,5 cm (Etrusker-Spitzmaus) bis 45 cm (Großer Rattenigel) könnten alle Insektenfresser rein größenmäßig auch in Wohnungen gehalten werden. Leider gibt es aufgrund ihrer Nahrungsgewohnheiten und der vielfach noch unbekannten Lebensweisen nur wenige Vertreter, die längere Zeit in Menschenobhut gepflegt und nachgezüchtet wurden (BLASZKIE WITZ 1987, EISENBERG 1980). In der Tierbestandsliste der BAG für sind für 1997 insgesamt schon 17 Arten Insektenfresser und Rüsselspninger aufgeführt, wenn auch nur bei wenigen Haltern.

Zur Ordnung Insektenfresser gehören je nach Ansicht 5-7 Familien. Diese Schwankung liegt in der Unterteilung der Familie Tenrecidae, deren 3 sehr unterschiedlichen Unterfamilien Tanreks, Otterspitzmäuse und Goldmulle auch als eigene Familien angesehen werden (GRZIMEK 1979).

Fam.: Schlitzrüßler, Solenodontidae
Die beiden Arten sind auf Kuba und Hispanolia (Haiti) heimisch. Sie sind am Boden lebende Allesfresser mit rattenartiger Gestalt und spitzmausähnlichem Kopf. Inzwischen sind sie sehr stark bedroht, die kubanische Art ist am Aussterben wegen Lebensraumvemichtung und Verfolgung durch Mensch und eingeführte Raubtiere. Schlitzrüßler wurden früher vereinzelt in Tiergärten und Foschungseinnichtungen gehalten. Sie haben sich als recht ausdauernde und umgangliche Pfleglinge erwiesen (EISENBERG 1975). Auch die Nachzucht in Menschenobhut ist inzwischen gelungen. Für eine Pnivathaltung kommen diese Tiere aufgrund ihrer Seltenheit nicht in Frage. Auf Haiti und Kuba werden Anstrengungen unternommen sowohl die restlichen Lebensräume zu schützen als auch Gefangenschaftszuchten aufzubauen.


Fam.: Tanreks, Tenrecidae

Die 20 Arten meist bodenbewohnenden Tiere vom Igel-, Ratten- und Spitzmaustyp leben nur auf Madagaskar. Die besten und erfolgreichsten Erfahrungen wurden bisher mit den beiden Arten Igeltanreks gemacht (GERRITS 1997, RIORDAN 1972, RUDLOFF 1996). Im Gegensatz zu unserem Igel können beide auch recht gut klettern! Riesentanreks sind in einigen Tiergärten zu finden und hatten auch sporadisch Nachwuchs, so in der Wilhelma Stuttgart und 1997 im Zoo Prag. Im Zoo Wassenaar brachte 1972 ein Weibchen dieser Art 31 Junge zur Welt, von denen 30 aufwuchsen (LOUWMAN 1973). Die kürzlich importierten niedlichen und attraktiven Streifentanreks konnten leider nicht für längere Zeit gepflegt werden (FRANCKE 1961). Die Reis- und Wassertanreks scheinen bisher nicht nach Europa, gekommen zu sein (EISENBERG 1975).

Fam.: Otterspitzmäuse, Potamogalidae
Die 3 Arten, nahe mit den Tanreks verwandten, Otterspitzmäuse ähneln kleinen Fischottern. Sie bewohnen Gewässer in West- und Zentralafrikas. Bisher sind diese Tiere noch nicht in Tiergärten gezeigt worden. In ihrer Heimat sollen sie nicht selten sein, aber ausführliche Untersuchungen zum Status stehen noch aus.

Fam.: Goldmulle, Chrysochloridae
Mit 18 Arten bewohnen Goldmulle vorwiegend Trockengebiete von Südafrika bis Kamerun und Somalia. Sie sind unterirdisch lebende Räuber mit maulwurfartiger Gestalt. Auch diese Tiere sind bisher nochnicht in einen europäischen Zoo gelangt. Über zeitweilige Haltungen in ihrer Heimat ist nichts bekannt. Es dürften aber für eine erfolgreiche Haltung ähnliche Bedingungen wie bei europäischen Maulwürfen notwendig sein.

Fam.: Igel, Erinaceidae
Die Stacheligel sind wohl neben dem Maulwurf die bekanntesten Gestalten unter den lnsektenfressem. Die insgesamt 19 bodenbewohnenden lgelarten leben in den gemäßigten D bis tropischen Zonen Eurasiens ünd Afrikas. Die in Südasien beheimateten Haar- oder n. Rattenigel ähneln in der Körperform den Schlitzrüßlern. Sie sind wahrscheinlich neben den Schlitzrüßlem die bedrohtesten Insektenfresser-Arten (PODUSCHKA 1995). Dagegen
werden Stacheligel öfter in Menschenobhut gepflegt (HERTER 1963). Hier sind auch die aI vielen Igelfreunde zu nennen, die schwache und zu kleine Igel über den Winter bringen. di Zeitweilig gab es einen richtigen Boom, möglichst alle Igel aufzulesen und an lgelvereine und Tiergärten abzugeben. Auch im Tierpark Berlin waren in früheren Jahren gleichzeitig H über 100 Igel in Pflege. Heute sind die lgelfreunde mehr beratend tätig, um den bei uns b unter Schutz stehenden Braunbrustigel natürliche Rückzugs- und Überwinterungs- z möglichkeiten zu bieten (BESTALOWSKY 1981, DATHE,H. 1971).
Aus Ägypten, Südafrika und jetzt auch aus Asien sind Wüsten- und Langohrigel zu uns gekommen. Die meisten Importe sind Wildfänge. Dagegen gibt es in einigen russischen Zoos zahlreichen Nachwuchs bei zentralasiatischen Ohrenigeln. Einige dieser Nachzuchttiere a haben inzwischen auch bei uns Junge zur Welt gebracht und aufgezogen. Die Wurfstärke lag E zwischen 1 und 4 Jungen. Die einzeln lebenden Igel sollten nur zur Paarung zusammen-gelassen werden. Die lgelmutter zieht die Jungen allein auf, die Igelväter stören entweder b dabei oder fressen sogar die Jungen auf. Wüsten- und Kapigel haben ebenfalls Nachwuchs erfolgreich aufgezogen. Wie bei den meisten lgelarten sind Haltungen und Zuchten aber immer noch die Ausnahme.

Fam.: Spitzmäuse, Soricidae
Mit mindestens 272 Arten sind die Spitzmäuse die artenreichste Familie mit der weitesten Verbreitung (Eurasien, Afrika, Nordamerika bis zum nördlichen Südamerika). Sie bewohnen alle Lebensräume vom Wald bis Wüste, sind meist Bodenbewohner, teilweise auch aquatil lebende Tiere. Von der Vielzahl der Spitzmäuse sind bisher nur wenige über längere Zeit gehalten worden. Dies mag an der kurzen Lebensdauer der Spitzmäuse liegen, an ungeeigneten Partnern oder auch an der Unkenntnis der Bedürfnisse dieser Tiere. Als recht
ausdauernd und relativ pflegeleicht haben sich die Asiatischen Moschusspitzmäuse erwiesen. Diese Art wird seit längerem in Forschungsinstituten gezüchtet, in der Natur hat sich diese "Maus" sogar in Afrika heimlsch gemacht. Neben der üblichen Insekten-, oder besser Wirbellosen-Nahrung nehmen die Moschusspitzmäuse auch Pflanzliches auf. Man kann sie sogarkurze Zeit mit-Sönnenblumenkernen füttern. Schwieriger gestaltet sich die Nahrungswaht bei den Arten der Gattung Crocidura (Garten-, 1-laus- und Feldspitzmaus), am problematjschsten dürfte sie wohl bei den Sorex-Verwandten (u.a. Waldspitzmaus) sein (HUTTERER 1977). Diese Tiere haben einen solch rasanten Stoffwechsel, daß sie mehrmals am Tag ausgiebig gefüttert werden müssen und nie ohne Nahrung sein dürfen (HAMILTON
jun. 1930). Wasserspitzmäuse sind mehrfach über längere Zeit gepflegt und gezüchtet worden (KÖHLER 19841986).

Fam.: Maulwürfe, Talpidae
Die 31 Arten dieser Familie leben hauptsächlich unterirdisch in Wäldern und feuchtem Grasland Eurasiens und Nordamerikas. Einige Arten sind Wasserbewohner (BARABASCHNIKIFOROW,I.I. 1975). Mehrere Arten von nordamerikanischen Maulwürfen, unter anderem der Stemrnull mit seinen bizarren Nasenfortsätzen, sind sowohl in Forschungsinstituten als auch in Tiergärten gehalten worden. Unser einheimischer Vertreter läßt sich selbst wenig oder gar nicht sehen. Dafür sind seine Bauhügel auf Wiesen und Gärten allerorten sichtbar (MESCH 1984). Da hat ihm nicht nur Freunde unter den Gärtnern eingebracht. Über die Lebensweise waren zum Teil nur ungenaue Daten vorhanden. J.OPPERMANN vom Museum für Naturkunde Berlin hat sich in seiner Diplomarbeit ausführlich über Nahrungsspektrum und Lebensweise geäußert. In der Universität Kassel wurde eine der ersten Schauanlagen für Maulwürfe errichtet (WITTE 1981). Seit Ende 1997 können auch Maulwürfe im neu konzipierten "Zoo unter der Erde" im Zoologischen Garten Dresden betrachtet werden.
Auch wenn die Rüsselspnnger nach neuesten systematischen Kenntnissen strikt von den lnsektenfressern getrennt werden, so bietet sich an, sie aufgrund ihrer Ernährungsweise und Haltungsansprüche den lnsektenfressern anzuschließen.

Fam.: Rüsselspringer, Macroscelididae
Die 15 Arten der Rüsselspnnger bewohnen vor allem die Trockengebiete und Wälder Afrikas mit Ausnahme des Westens. Ihre Gestalt erinnert an hochstämmige Spitzmäuse mit Springmauseinschlag. Im Gegensatz zu allen anderen "Insektenfressern" bringen sie nur wenige, aber weit entwickelte, sehr schnell selbständig werdende Junge zur Welt. Für Tiergärten sind die "KleinrüßIer" im Gegensatz zu den vorher genannten Familien attraktive Schautiere wegen ihrer Tagaktivität. Die in denWäldern lebenden ziemlich großen Rüsselhündchen sind aber Ausnahmeerscheinungen in Tiergärten. Der Zoo Frankfurt hält mit über 7 Jahren den Haltungsrekord beim Goldsteiß-Rüsselhündchen. Von den kleinen wüsten- und steppenbewohnenden Formen hat sich dank der außerordentlichen Bemühungen, Erfahrungen und Zuchterfolge des Wuppertaler Zoos der Kurzohr-Rüsselspringer auch bei privaten Haltern verbreiten können (BOSCH,H. 1993) (SAUER & SAUER 1972).

Generell kann gesagt werden, daß Insektenfresser aufgrund ihrer vorwiegenden Nacht-aktivität, versteckten oder sogar unterirdischen Lebensweise wenig attraktive Schau- bzw. Beobachtungstiere sind. Nur in speziellen Haltungssystemen kommen sie richtig zur Geltung. Nahrungsspektrum, Aktivitätsrhythmus während des Jahres, Sozial- und Fortpflanzungsverhalten sind bei den meisten Arten unbekannt. Es gibt also noch viel zu tun, die Lebensweise und Halturtgsbedingungen von Igel, Maulwurf, Spitzmaus und Co. zu erkunden, engagierte Kleinsäugerfreunde sind dazu allemal erwünscht.


Literatur:
BARABASCH-NIKIFOROW,I.l. (1975): Die Desmane, Familie Desmenidee (Insectivora).en Neue Brehm-BOch. Bd.474. Wittenberg Lutherstadt
BESTALOWSKY,C. (1981): Igel in Pension. Wie hilft man lgeln Ober den Winter? Stuttgart. BLASZKIEWITZ,B. (1987): Einiges Ober Insektenfresser (Insectivora) in Zoologischen Garten.
Tiergarten Aktuell (Nürnberg) 3 (2), 6-10.
BOSCH,H. (1993): Kurzohrrüsselspringer (Mecrosceides proboscideus)
Löbbecke-Museum + Aquazoo Düsseldorf, Jahresbericht 1992, 55-60.
cORBET,G.B. & HILL,J.E. (1991): A World List of Mammalian Species. 3.Aufl.. London.
DATHE,H. (1971): Stachliger Wintergast. Garten u. Kleintierzucht A, 10, Nr.26, 5.
EISENBERG,J.F. (1975): Tenrecsand Solenodons in Captivity. lnt. ZooYearb. 15,6-12.
EISENBERG,J.F. (1980): lnsectivorous mammals in captivity. Int. ZooYearb. 20,47-52.
FRANCKE,H. (1961): Gefangenschaftsbeobachtungen an Hemicentetes semispnosus.
Sitzungsbericht der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin, Neue Folge 1.
GERRITS,D. (1997): Keeping arid Breeding the Lesser Hedgehog Tenrec (Echinops telf ein).Mitteilungen der Bundesarbeitsgruppe (BAG) Kieinsäuger Heft 2/97, 3-4.
ials GRZIMEK,B (Hrsg )(1997) Grzimeks Tierteben. Band Säugetiere 1. Manchen. HAMILTON jun ‚W J (1930) The Food of Soncidae. Joum. Mammalogy 11.1, 26-39.
HERTER,K (1963) Igel Neue Brehm-BOch. Bd. 71, 2.Aufi. Wittenberg Lutherstadt.
HUTTERER,R (1977) Haltung und Lebensdauer von Spitzmäusen der Gattung Sorex.
Z angew Zool 3,352-367.
KÖHLER,D (1984)~ Zum Verhaltensinventar der Wasserspitzmaus (Neomys todiens).
Saugetterkdl. lnf. 2, 175-1 99.
KÖHLER,D. (1986): Hohes Gefarigenschaltsalter von Neomys todiens D. Zool. Garten (N.F.) 57, 54-56. LOUWMAN,J.W. (1973): Breeding the Tailless tenrec Tenrec ecaudatus at Wassenaar Zoo.
nt. Zoo Yearb. 13,125-126.
MESCH,H. (1984): Wühlmaus und Maulwurf im Garten. 4.AufI. Berlin
PODUSCHKA,W. (1995): Internationaler Insektivoren-Schutz 1970-1995. Eine Bilanz.
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PUSCHMANN,W. (1989): Zootierhaltung. Säugetiere. Berlin.
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RUDLOFF,K (1996): Das Tierporträt. Großer lgeltanrek, Sernersetosus Frohrtep,1806.
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SAUER,E.G.F. & SAUER,E.M. (1972): Zur Biologie der Kurzohrigen Elefantenspitzmaus,
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WITTE,G.R. (1981): Erfahrungen mit der Käfighattung von Maulwürfen (Talpa europaea L.).
D.Zool. Garten (N.F.) 51, 193-215.

Klaus Rudloff, Tierpark Berlin, Am Tierpark 125, 10307 Berlin

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